Ascolta
SA, 11. SEPT 2021, 19:30 UHR | Musikhochschule Münster, Ludgeriplatz 1
Werke von Annette Schmucki (UA), Peter Ablinger, Carlos Hernandez
Annette Schmucki
she’s leaving home. sand_schlamm_schnee_septett
(UA)
Peter Ablinger
JETZT/BLACKOUT
(aus: Instruments &)
Carlos G. Hernández
sin orejas
Sieben Wörter. Sieben Textfragmente. Sieben Instrumentalist:innen mit einer je eigenen Stimme. Das neue Werk von Annette Schmucki basiert auf Satzteilen, die durch Reihung, Inhalt und persönliche Erinnerung eine Einheit bilden:
„bis zum aus weitergehen in spuren den fuss setzen in sand in schlamm in schnee“
Schmucki entwickelt aus diesem sprachlichen Fundament ihre Komposition she’s leaving home. sand_schlamm_schnee_septett (UA). Sie verlässt den Nahbereich und gibt die Wörter frei. Eine Suchmaschine spuckt Reise- und Schneeberichte aus. Verschiedene Stimmen sprechen die gleichen Fragmente und zerfasern die Struktur. Sprache und Bedeutung suchen einander. Wörter erhalten formgebende Funktion, triggern Einsatz und Klang. Die Komponistin lotet dabei bis ins kleinste Detail hinein die Möglichkeiten der Instrumente aus. Geschrieben für das Ensemble Ascolta fordert das Werk eine eingespielte Unabhängigkeit ein. Die Musiker hören je einer eigenen Audiopartitur zu, welche Einsätze, Dauern und Tonhöhen bestimmt, dabei jedoch durch ihre unterschiedliche Grundlage die Musik zum Wuchern bringt. In drei Teilen entsteht ein polyphones Geflecht und geht vom Unisono über Verschiebungen und Loops bis hin zu einer Gegenüberstellung von Linien und punktuellen Ereignissen.
„es ist ein stück über heterofonie. über die brüchige einheit von klang und zeit. über ausscheren, über alleingang. über einheitlichkeit des materials. über zusammenwohnen. über das zuhauseverlassen. was heisst es, zusammenzuspielen, ein ensemble zu sein.“
Annette Schmucki (*1968) arbeitet mit Sprache als Musik. Sie studierte Komposition bei Cornelius Schwehr und mathias spahlinger. Neben ihrer kompositorischen Arbeit (Musikwerke, Installationen, Performances, Texte) tritt sie auch solo als Performerin ihrer Sprechmusiktexte auf. Schmucki erhielt zahlreiche Preise und Stipendien und arbeitet in den Künstler:innenkollektiven blablabor (seit 2000), band (seit 2010), die sieben schweinsschwestern (seit 2010), kotombola (seit 2019). Ihre Werke werden von namhaften Ensembles und Festivals wie Ensemble Ascolta, Archipel, Collegium Novum Zürich, Villa Concordia, Ensemble Contrechamps, glfk halle süd, Lucerne Festival, Ensemble lemniscate, maulwerker, Musikfestival Bern, Ensemble proton, ensemble recherche, Staatsoper Berlin, Tage für Neue Musik Zürich, Usinesonore, Neue Vocalsolisten Stuttgart, WDR, Wien modern, Wittener Tage für neue Kammermusik in Auftrag gegeben und uraufgeführt.
Schmucki ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin. Sie lebt mit ihren zwei Söhnen im Jura bernois.
www.blablabor.ch/indexschmucki
Mit JETZT/BLACKOUT (2016/17) hinterfragt Peter Ablinger nichts weniger als die Realität. Wieviel von dem, was wir wahrnehmen, ist Wirklichkeit? In Weiterführung von Schönbergs Diktum, sich in der Musik darauf zu konzentrieren, was es ist, konstatiert der Komponist: „Nicht alles was IST ist wirklich“. Intendiert undurchdringlich vermischt Ablinger heterogenes Klangmaterial. Er verwebt Elemente des Alltags, wie beispielsweise Live-Sounds des Fernsehsenders Al-Jazeera, mit Materialien der Musikgeschichte – vornehmlich aus dem letzten Satz von Beethovens 9. Sinfonie. Der zweite Teil des Werktitels, Blackout, steht auf musikalischer Ebene als Synonym für die Synkope, das strukturgebende Hauptmotiv des Werks. Stets zu spät oder zu früh, markiert sie blinde Flecken, schwärzt Teile des Gewebes aus. Ablinger nennt als Beispiel den Chor der Ode an die Freude: A- (-lle Menschen werden… und fragt: „Denn was heißt hier Alle?“
In sin orejas (2019) des mexikanischen Komponisten Carlos G. Hernández kommt erst nach und nach eine verbindende Struktur zum Vorschein. Im Gegensatz zu dichten Klangnetzen erklingen hier zunächst Vereinzelungen. Ohne Ohren füreinander sitzen Posaune, Cello, Schlagzeug und Trompete singulär verteilt im Raum. Punktuelle Impulse, trotzige Soli und kratzbürstige Flächen werden dann jedoch ergänzt durch eine sich organisch entwickelnde Meta-Ebene. Hören als Grundbedingung des gemeinsamen Musizierens wird auf die Probe gestellt – mit ungewissem Ausgang.
Das Ensemble Ascolta bereichert seit 2003 mit besonderem Klangbild und außergewöhnlichen Projekten die Neue Musik-Landschaft in Deutschland und Europa. Inzwischen hat Ascolta über 250 Werke für seine spezielle Besetzung angeregt und uraufgeführt, darunter Werke von Pierluigi Billone, Chaya Czernowin, Beat Furrer, Isabel Mundry, Olga Neuwirth und Hans Thomalla. Das Ensemble gastierte bei nahezu allen wichtigen Festivals für Neue Musik (u.a. Donaueschinger Musiktage, Wittener Tage für neue Kammermusik, Festival Eclat Stuttgart, Lucerne Festival, Ultima Oslo, Wien Modern) und folgte internationalen Konzerteinladungen etwa in die USA, nach Singapur oder Israel.
Die Möglichkeiten szenischer Konzertformate interessieren die sieben Musiker ebenso wie Grenzgebiete zwischen neuer, alter und populärer Musik. In der Zusammenarbeit mit Künstler:innen aus den Bereichen Video, Performance und Multimedia entstanden Projekte wie Der absolute Film und Schatten (in Kooperation mit ZDF/arte), Jennifer Walshes meanwhile, back at the ranch, Simon Steen-Andersens Inszenierte Nacht oder die musiktheatralische Produktion Vor dem Gesetz von Martin Smolka und Jiří Adámek.